Samstag, 11. Oktober 2008

Die Davysche Dampfstraßenbahn

Die Berliner Dampfstraßenbahn - in vielen deutschen Großstädten wie gab es zur fraglichen Zeit ein solches Verkehrsmittel - wurde im Mai 1888 eröffnet und fuhr vom Zoologischen Garten nach Halensee. Die Bahn wird bei Theodor Fontane im Roman "Frau Jenny Treibel" zu Anfang des zehnten Kapitels auf folgende Weise erwähnt.

"Alte und junge Treibels, desgleichen die Felgentreus, hatten sich in eigenen Equipagen eingefunden, während Krola, von seinem Quartett begleitet, aus nicht aufgeklärten Gründen die neue Dampfbahn, Corinna aber mutterwindallein ... die Stadtbahn benutzt hatte."

Fontane
spielt heir mit der Bemerkung "aus nicht aufgeklärten Gründen" u.a. auf die Überflüssigkeit der Dampfstraßenbahn an. Ihre Endstation lag zwar, wie etwa bei der Nymphenburger Dampfstraßenbahn in München auch, in der Nähe von Vergnügungsstätten, also im Falle Berlins in Halensee. Allerdings konnte Halensee auch mit der Stadtbahn, der alten Dampfbahn, erreicht werden.

Die Berliner Dampfstraßenbahn war also selbst eine Attraktion ohne rechte Beförderungsfunktion, mit der Projekte der gleichen Art imitiert wurden und mit der allenfalls eine Spazierfahrt über den Kurfürstendamm unternommen werden konnte. Das Unternehmen war also höchst epigonal, noch dazu wo Berlin seit 1881 über die erste elektrische Straßenbahn (in Lichterfelde) verfügte, die ab 1891 sogar mit einer Oberleitung betrieben wurde. Dass der Verkehrsstrom über den Kurfürstendamm hinaus nur sehr spärlich fließt, zeigt sich daran,, dass heute die U-Bahn-Stichstrecke zum Kurfürstendamm schon an der Uhlandstraße endet und nicht bis Halensee durchgeführt wurde.

Der Pfiff der vorliegenden Szene besteht darin, dass gleichzeitig eine Gepflogenheit Berliner Cliquen vorgestellt, andererseits ein Schlaglicht auf Corinna Schmidt geworfen wird. Die Gepflogenheit besteht darin, sich einerseits in Halensee zu verabreden, andererseits sich schon auf der Fahrt dorthin zu treffen. Die Wahl des Verkehrsmittels stellt dabei eine Art Lotteriespiel dar. Krola und sein Gesangsquartett haben wohl, jede der fünf Personen für sich, die Dampfstraßenbahn gewählt, in der Hoffnung, Corinna zu treffen. Corinna indessen hat alle ihre Verehrer ausgetrickst und ist mit der S-Bahn angereist, "muuterwindallein".

Die für wilhelminische Verhältnisse sowohl etwas großspurige ("Kunststopfereifrage") wie auch blaustrümpfige Corinna hätte es wohl nicht nötig gehabt, sich Leopold Treibel aus opportunistischen Gründen an den Hals zu werfen und sich am Schluss nach Scheitern ihres ersten Plans mit ihrem Cousin Marcell Wedderkopp zu begnügen. Welche konkreten Verhältnisse hinter dem Erzählten stehen, ist wohl "ein weites Feld".