Dienstag, 6. Januar 2009

Das allein kann's nicht sein.

Wenn der Roman l'Adultera von Theodor Fontane anhebt, ist, wie so oft bei diesem Autor, bereits alles entschieden. Die Grabenkämpfe zwischen Ezechiel van der Straaten und Melanie sind beigelegt. Es herrscht Frieden zwischen den Parteien, ein trügerischer Frieden. Nur Kenner der Familie wissen die noch verbliebenen Sticheleien als Rudimente eines früheren Streites zu deuten, die, alle zusammengenommen, im Normalfall so etwas wie Scheidung kaum rechtfertigen. Alle spüren jedoch, dass es zum Eklat kommen muss, man weiß nur noch nicht wann. Van der Straaten selbst liefert - das Wort ist richtig gewählt, denn Van der Straaten ist ein bekannter Handelsmann - den Scheidungsgrund, und zwar in Form des Ebenezer Rubehn, der als eine Art Tartüffe bei den Van der Straatens einziehen soll. Hier käme es rasch zur Explosion, spielte die Szene in einem kleinbürgerlichen bzw. proletarischen Haushalt. Sie ist aber dort nicht angesiedelt, sondern im piekfeinen Berlin der wilhelminischen Epoche. Und so kann das Spiel nun erst richtig beginnen.

L'Adultera war ursprünglich als Novelle bezeichnet, in der laut Goethe etwas Unerhörtes im erzählerischen Zentrum stehen soll. Im vorliegenden Fall wendet sich eine junge Frau von ihrem Mann ab, der, Bildersammler, als feinsinnig zu gelten hat, um sich einem noch feinsinngeren Manne zuzuwenden. Als Normalfall ist hingegen anzusetzen, dass die Nähe eines wenig gebildeten Mannes gesucht wird, der körperliche Zuwendung und einiges Verständnis für die Frau verspricht. Ezechiel ist dieser Mann keineswegs, obwohl gelegentliche Berolinismen festzustellen sind, die auf einen Mangel an Schulbildung zurückgeführt werden können. Melanie begegnet der Leidenschaft ihres Mannes mit Unverständnis. Sie pflegt das bürgerliche Kulturgut, in das sich übrigens Fontane gerade hineinschreibt, in allgemeinerer Form. Obwohl auch Malerei und Literatur zu diesem Kulturgut gehören, ist eine Fokussierung auf die Musik und auf den Musikgiganten Richard Wagner festzustellen.

Während der Bildersammler per definitionem einen extremen Materialismus pflegt, und zwar in doppelter Hinsicht - Bildersammeln ist teuer; dafür hat man auch etwas Greifbares im der Hand - fällt demgegenüber Ende des 19. jahrhunderts die Musikpflege in bürgerlichen Haushalten ab. Die spätromantische Virtuosenmusik ist für nebenberufliche Musiker auf Grund des Schwierigkeitsgrades kaum darstellbar. Man beschränkt sich daher auf die Adaption des bürgerlichen Kulturgutes in leichten Bearbeitungen für die klassischen Instrumente, Geige und Klavier. Die van der Straatens betreiben volksliedhaften Gesang. Eine Klavier- und Gesangslehrerin - Anastasia Schmidt - sorgt für die (einfache) Klavierbegleitung. Darüberhinaus pflegt einer der befreundeten Maler das Mundharmonikaspiel. Wo und wie konnte man sich in diesem Umfeld (ohne Tonträger) dem Operngiganten Richard Wagner nähern?

Die einzige Möglichkeit ist, den einschlägigen Opernaufführungen beizuwohnen. Die Chancen dazu sind in der Weltstadt Berlin natürlich wesentlich großer als anderwärts. Die Gleichstellung der Wagnerschen Musik mit dem übrigen bürgerlichen Kulturgut ist wegen deren Komplexität ausgesprochen schwierig. Zumindest besteht die Gefahr, dass die fein-erotische Leitmotivik verloren geht. Ein großes Kurorchester konnte Ausschnitte aus Wagners Opern präsentieren, und auch die Textbücher waren im Umlauf, konkurrierten etwa mit Hebbelschen Dramen.

Das Spielen von Klavierauszügen basierend auf Wagners Musik war Virtuosen vorbehalten, die allerdings damit ihr Eigentliches vernachlässigten. Der schlesische Heimatdichter Paul Keller (1873 - 1932) berichtet um 1915 in einer autobiografischen Erzählung von einem Schulfreund, der den Walkürenritt auf der Orgel zu spielen verstand, während er, Keller, sich mit seinem Orgelauch begnügen musste. Paul Keller spielt wohl auf einen Barockkomponisten namens Gottfried Keller an, der um 1700 in London wirkte, dort 1704 gestorben ist, und dessen feingliedrige Werke wohl nicht nur für die Kellers verbindlich wurde, sondern auch etwa für die Novellistik Paul Heyses, die in l'Arrabiata die Kurzgeschichte vorwegnimmt.

Auch Fontane stellt die Frage nach der historischen Musik, und zwar ziemlich überspitzt in seinem Gedicht "Lurenkonzert". Er mag aber während seiner Londoner Zeit durchaus in alte Musikalien Einblick gehabt haben, und Melanie van der Straaten durchaus im Zusammenhang mit "Blockflötenmusik" denkbar. Jedoch war die Zeit noch nicht reif für Derartiges. Darüberhinaus ist auch für die Pflege älterer Musik eine gewisse Grundvirtuosität notwendig, die keineswegs für das gesamte Bürgertum oder eine andere Schicht vorausgesetzt werden kann.

Ähnliches mag Ezechiel van der Straaten seiner Ehefrau im Laufe der über zehnjährigen Ehe vorgehalten haben. Irgendwann ist dann wohl das Gegenargument genannt worden, dass in einer bürgerlichen Bildersammlung entweder Bilder noch unbekannter Maler oder Kopien Alter Meister versammelt sind. Gegen solche Kopien, sei es nun in schwarz-weiß fotografierte oder in Öl abgemalte, ist im Grunde gar nichts einzuwenden. Man darf sich bloß nicht einbilden, dass sie das Eigentliche darstellten.

Melanie van der Straatenkann durchaus mit Ibsens Nora verglichen werden, auch wenn das, was ihr der Ehemann bietet, keineswegs ein Puppenheim ist, sondern eher das Gegenteil. Ebenso wie Melanie verlässt Nora ihren Mann. Damit ist Ibsens Drama beendet. Fontanes Erzählung geht indessen noch ein Stück weiter. Vor allem unterschlägt uns der Dramatiker, wie sich die Protagonistin in einer männerdominierten Welt außerhalb der Ehe zurechtfinden soll. Für Melanie gerät bereits der Weg von der ehelichen Wohnung zum Bahnhof, wo sie ein neuer Mann erwartet, zum Spießrutenlauf. Melanie braucht diesen zweiten Mann, um ihre Pläne zu verwirklichen, die Originale der kopierten Bilder zu sehen.

Fontanes Erzählung endet modern, fast modernistisch, mit einer Art Ehe zu dritt, in der der Ex-Mann durchaus noch seinen Platz hat.