Sonntag, 31. August 2008

Der strategische Tod bei Fontane

In der Tragödie, so heißt es irgendwo, sind am Ende alle tot, die tot sein müssen. Bei Theodor Fontane ist das nicht so einfach, ein weites Feld. In "Irrungen, Wirrungen" sind am Ende nicht alle tot. Obwohl dieser Roman nichts nehr ist als tragisch, stirbt nur die Mutter Nimptsch, die ohnehin der Generation angehört, bei der der Tod, formallogisch gesehen, keineswegs etwas Bemerkenswertes darstellt. Es entspricht dem Lauf der Dinge, obwohl es keinen Leser gibt, der nicht tief gerührt wäre. Dennoch handelt es sich um einen strategischen Tod oder vielleicht auch gerade deswegen. Mit dem strategischen Tod versucht der Autor zu verhindern, dass sich eine Figur im Nichts verliert. So ist die Mutter Nimptsch die einzige Figur in diesem Roman, die in ihrer Endlichkeit abgeschlossen erscheint. Mit 70 Jahren ist der Tod auch in Fontanes Romanwelt nicht von Zwangsläufigkeit. Es gibt da auch wesentlich Ältere, den Pastor Petersen in "Unwiederbringlich" oder die Domina in "Grete Minde".

Die übrigen Hauptfiguren des Romans werden in die Ungewissheit entlassen. Der weiterdenkende Leser sieht, wie Käthe von Sellenthin/Rienäcker den von der Familie ersehnten Stammhalter bringt, wird aber gleichzeitig den Verdacht nicht loswerden, der Urheber sei irgendeine "komische" Figur niederen Standes. Botho von Rienäcker, der im Grunde kaum Interesse an Frauen hat, wird sich damit arrangieren und an der Ehe festhalten. Gideon Franke wird wohl nicht Lenes letztes Experiment in Sachen Männer sein. Ob sich Lene und Gideon eine Scheidung werden leisten können? Man würde es Lene Nimptsch wünschen, war doch das Arrangement der Hochzeit durch den Sektierer nur zu entwürdigend.

Auch Effi Briests Tod ist trotz der Tränen, die der Leser dabei vergießen mag, ein rein strategischer. Fontane "nutzt" ihn zur Bestätigung seiner Sympathielenkung, die Geert von Innstetten als eine Figur ohne rechte Liebe darstellt. Die Meinung einer Figur, die auf den Tod darniederliegt, kann nicht Lüge sein und muss Bestand haben. Geert von Innstettens Ruf als der Piefke, Preuße oder, wenn man selbst im Lande hockt, Hundertfuffzigprozentige ist somit besiegelt. Eine Kritik am Staat an sich ist aus diesem Faktum eigentlich nicht abzulesen.

Auch der Tod der Christine Holk in "Unwiederbringlich" ist in gewisser Weise strategisch. Zwar hat die Figur bei ihrem Ende die Grenzen ihrer Möglichkeiten erreicht. Jedoch würde die Darstellung, wie die alles in allem sympathische geistig Umnachtete von ihrer Familie liebevoll gepflegt wird, zu viele wilhelminische Konventionen sprengen, da ja sicherlich auch - nach dem deutsch-dänischen Krieg - alle KopenhagenerBekannten, inklusive Ebba mit Ehemann zu Besuch kommen müssten. Mal ganz abgesehen von dem enormen Kitschfaktor würde selbst den von Thomas Mann her bekannte Romanumfang sprengen und trotzdem michts Wesentliches mehr beitragen. Zudem wäre die funktionslose Darstellung von Krankheit Naturalismus, den Fontane ablehnte.

Nicht strategisch ist indessen in "Stine" der Tod von Waldemar von Haldern. Er ist vielmehr notwendig, wenn auch nicht eigentlich tragisch. Der Protagonist übersieht den Ausweg, wegen seiner Kiegsverletzung gar nicht standesgemäß heiraten zu können und infolgedessen eine kameradschaftliche Ehe eingehen zu dürfen. Der Selbstmord des Grafen ist für Fontanes Verhältnisse ziemlich eingehend und auch eindeutig beschrieben. Alles andere entspräche nicht von Halderns Charakter.

Der einzige Roman Fontanes, in dem überhaupt niemand stirbt, der also ohne strategischen oder nicht strategischen Tod auszukommen scheint, ist "Frau Jenny Treibel" . Das heißt natürlich zunächst einmal, dass sämtliche Personen nicht definiert im Sinne von endlich sind. Selbst der vor Beginn der Erzählung bereits verstorbene Wachtmeister Schmolcke wird in das open end hineingezogen. Da man bei Fontane ja oft nicht immer mit letzter Gewissheit erkennen kann, was geschehen ist, sind Aussagen bezüglich der Zukunft noch viel weniger zu treffen. Zum Zeitpunkt des Romanendes von "Stine" lebt die Titelheldin noch, und ihr Ihrem-Geliebten-Nachsterben ist vor der Hand noch reine Spekulation, und auch dass Leopold Treibel Hildegard Munk heiraten wird, ist nach der Maßgabe, dass man Verlobungen auch auflösen kann, - im Falle der Beziehung mit Corinna zeigt sich das überdeutlich - mit einem dicken Fragezeichen zu versehen. Darüberhinaus kann bereits über eine beginnende oder mögliche Lungenkrankheit Leopolds spekuliert werden, jedoch ist eine Diagnose nicht Teil des Romans.

Der Leser gewinnt in "Frau Jenny Treibel" den Eindruck, dass durchaus der Tod bereits über der ganzen Szene schwebt. Das liegt zum einen an der Vielzahl der auftretenden Personen und der Knappheit der erzählten Zeit, die, von der Überbringung der Einladung an Willibald Schmidt durch die Protagonistin bis zur Hochzeit Corinnas gerade mal eben zwei Monate umfasst. Der Tod als Sensenmann wäre innerhalb dieses Rahmens mit dem Realismus Fontanes kaum vereinbar. Allerdings ist hiermit auch der erzählerische Rahmen für Fontanes Werk bis hin zum "Stechlin" abgesteckt.

Marcell und Corinna Wedderkopp sollen, so will es jedenfalls die Karriere und die Planung Willibald Schmidts gemeinsam zu wissenschaftlichen Grabungen aufbrechen, was nicht immer ohne Risiken für Leib und Leben ist. Recht stabil erscheint indessen der Kommerzienrat Treibel, obwohl man diesem den Tod in den nächsten zehn Jahren voraussagt.

Keine Kommentare: