Freitag, 22. August 2008

Warum kommt Käthe von Sellenthin immer so schlecht weg?

Wenn man den kleinen Roman "Irrungen, Wirrungen" eingehender betrachtet, stellt man fest, dass die Beziehung, genauer gesagt die eheliche Beziehung zwischen Botho von Rienäcker und Käthe von Sellenthin etwa die Hälfte des Erzählten einnimmt, d.h. die zweite Hälfte. Die beiden kannten sich durchaus von früher her, und man muss bei jeder Analyse einbeziehen, dass dieses Früher Auswirkungen auf das Hier und Jetzt gehabt haben könnte. Wenn Käthe etwas dalbrig ist, so liegt das nicht nur in ihren Genen, sondern ist möglicherweise ein Produkt der Erziehung oder der gesellschftlichen Einflüsse.

Fontane lässt den Leser über das Früher und vor allem über dessen Ausmaß im Unklaren. Wie derartiges aussieht, erfahren wir zum Beispiel im ersten Kapitel von Grete Minde. War dem auch in der Beziehung zwischen Botho und Käthe so, haben das Leben bzw. die Gesellschaft Käthe von Sellenthin ganz übel mitgespielt, indem sie aus taktischen Gründen eine Ehe eingehen soll, mit einem Mann, zu dem ihre Beziehung beendet, die Liebe erloschen ist. Anders als Corinna Schmidt in Frau Jenny Treibel hat sie nicht die Chance einer Umorientierung, denn ebenso wie Marcel Wedderkopp der Cousin von Corinna ist, sind Botho und Käthe als Cousin und Cousine nah miteinander verwandt. Die Oberflächlichkeit der ungeliebten Protagonistin könnte aber in der eben beschriebenen Komplexität ihre Ursachen haben.

Von natürlicher Textur war Käthe von Sellenthin wohl nie. Aber so wie sie sich gegen Ende des Romans präsentiert, ist sie durchaus ein Produkt der Verhältnisse, was sie übrigens mit Lene Nimptsch gemeinsam hat, die in einer Beziehung vor Botho schon der Sehnsucht nach Einfachheit entsprochen, einschlägige Rede- und Handlungsweisen kultiviert und fast zur Perfektion gebracht hat. Käthe kann da nicht mithalten. Ihr ist der Volkston nicht in die Wiege gelegt. So hat sie zwei Dinge vervollkommnet: Die nichtssagende Causerie in Gesellschaft und, was leicht übersehen wird, die wohlgesetzte Pointe. Beides wendet sie nun auf ihren Ehemann an, so wie sich Lene auf Grund ihrer Erfahrungen mit Männern jeder Albernheit., die vielleicht andere durchaus zu schätzen wissen, entledigt hat. Es geht hier bei Botho von Rienäcker um ein Abtasten, was bei diesem Mann eigentlich ankommt. (Bratkartoffelverhältnis? Theatermuffel? etc)

Man könnte Käthes Sprechweise als "argumentatorisches Florett" charakterisieren:

"Käthe freute sich, unter Händeklatschen, dieser prächtig freien Aussicht, umarmte die Mama, küßte Botho und wies dann plötzlich (!) nach links hin, wo zwischen vereinzelten Pappeln und Weiden ein Schindelturm sichtbar wurde. "Sieh, Botho, wie komisch. Es ist ja wie dreimal eingeknickt. Und das Dorf daneben. Wie heißt es?"
"Ich glaube, Wilmersdorf",stotterte Botho.
"Nun gut, Wilmersdorf. Aber was heißt das! 'Ich glaube'. Du wirst doch noch wissen, wie die Dörfer hier herum heißen..."

An anderer Stelle lesen wir: "Und sieh nur den Brotwagen da mit dem vorgespannten Hund. Es ist doch zu komisch." Käthe erwähnt diese Nebensächlichkeit wohl nicht ohne Kalkül. Ein Zughund hat durchaus in ihrer (komischen) Welt einen Platz im Gegensatz zu der eng abgegrenzten Welt Bothos , wo es nur Zugpferde, allenfalls Zugochsen gibt! All diese Beobachtungen lassen doch Zweifel an der Oberflächlichkeit Käthe von Sellenthins aufkommen. Sie ist keine fünfzehn oder siebzehn mehr, musste möglichst rasch verheiratet werden, da sie andernfalls ein gesellschaftliches Problem darstellen würde. Botho steckt auch bezüglich seiner Ehe in einer Zwangslage, die durch die gesellschaftlichen Finessen keineswegs gemildert wird.

Käthes Kur in Schlangenbad soll dazu dienen, ihre Empfängnisbereitschaft zu erhöhen. Auch dieser Sachverhalt wird bei Fontane nicht sonderlich explizit gemacht, und schon gar nicht wird der Verdacht geäußert, dass eine Zeugungsunfähigkeit von Seiten Bothos gemeint sein könnte. Dennoch: Auch aus der Beziehung mit Lene Nimptsch ist ja kein Nachwuchs entstanden, trotz der (un)redlichen Bemühungen der Wirtschaft von Hankel's Ablage. Ja, es ist sogar Schlimmeres zu befürchten, nämlich dass Bothos Interesse für Frauen allgemein sehr gering ist. Das war zu der Zeit, in der der Roman spielt, ein kriminelles Delikt. In ihrer Verlogenheit hofft die wilhelminische Gesellschaft gleichzeitig, dass ein Kurschatten in die Bresche springt. Ob jedoch Mr. Armstrong aushelfen kann, sei einmal dahingestellt.

Käthe von Sellenthin und Lene Nimptsch treffen sich nur einmal, erstere allerdings in Begleitung ihres Mannes. Dass Lene ihren ehemaligen Liebhaber, und gleichzeitig ihr Gegenbild getroffen hat, wird nirgendwo betont. Also könnte auch die Sellenthin, ebenfalls Gegenbild zu Botho, bei Lene den nachfolgenden Nervenzusammenbruch ausgelöst haben. Lene und Käthe, das wäre im Sinne moderner Fernsehserienromantik eine Option.

Es wird immer wieder festgestellt, dass Käthe fast alles, dessen sie ansichtig wird, als "komisch" spezifiziert. Damit bezeichnet sie alles, was nicht in ihre und vor allem Bothos Lebensspäre, in ihre aktuelle Lage also, passt und das aus diesem Grund komisch erscheinen muss. Komisch ist aber auch gemäß der überkommenen Dramentheorie alles, was nicht tragisch, weil niederen Standes ist. Auf diese Weise macht Käthe durchaus dort weiter, wo Lene aufgehört und keinen Erfolg gehabt hat. Botho hat eigentlich immer noch kein Gefühl für das Ständische weder für das eigene noch das ärmerer Schichten, und so erst gerät das "Komisch" zur reinen Floskel.

Der Hund, der dem Bäcker oder dem Milchmann das Zugpferd ersetzen muss, ist ebenso ein Statussymbol wie die adlige Kutsche, nur eben komisch, das heißt von einfachem Stand. Es ist daher eigentlich ganz im Sinne von Fontanes Realismus, wenn da so vieles komisch ist. Käthes Beredsamkeit bleibt Botho aber ebenso ein Rätsel wie Lenes bedeutsames Schweigen. Für Lene wäre der Zughund ein unverbrüchlicher Bestandteil ihrer Lebenswelt und keiner besonderen Erwähnung würdig. Lene besticht durch ihre sprechenden Handlungen, z.B.: "Er wollte noch weiter sprechen, aber im selben Augenblicke kam Lene mit einem Kaffeebrett zurück, auf dem eine Karaffe mit Wasser samt Apfelwein stand, Apfelwein, für den der Baron, weil er ihm wunderbare Heilkraft zuschrieb, eine sonst schwer begreifliche Vorliebe hatte."

Käthe hätte hier sicherlich von einem komischen Getränk und einer komischen Karaffe gesprochen. Lene schweigt. Diese Szene ist wohl unter dem Aspekt zu sehen, dass Botho von Rienäckers Fmilie insolvent ist. Lene führt durchaus Dinge vor, mit denen sich, unter bürgerlichen Gesichtspunkten Geld verdienen lassen müsste, mit verdünntem Apfelsaft vielleicht. Jedenfalls spricht hier wieder der Apotheker Fontane. Botho braucht nur etwas zu sagen, und eine ganze Maschinerie, die Dörr'sche Gärtnerei, Lenes Arbeitskraft, sowie die weisen Ratschläge der Mutter Nimptsch stehen Botho zur Verfügung.

Am Ende führt Käthe ihrem Ehemann dessen verpasste Chancen vor, und zwar immer wenn sie etwas komisch findet. Dass spätestens nach der Restauration auch der Adel mit bürgerlichen Betätigungen Geld verdient, ist etwas, was in den Kopf Bothos und einiger seiner Freunde nicht hineinwill.


Keine Kommentare: